«Das Kidditorial entstand aus dem Wunsch, Kinder und Eltern während und nach der Pandemie zu erreichen und Online-Inhalte mit Axel Schefflers allzu menschlichen Zeichnungen zu vermitteln, die die prägenden Erfahrungen und Erinnerungen der Kinder an die Krise widerspiegeln und ihnen neue Informationen zur Verfügung stellen und hoffentlich auch Freude bereiten.»
Ulf Schmidt & Blanche Schwappach-Pignataro — Hamburg 2021
Im Herbst 2020 erhielt ich von Axel Scheffler einen handgeschriebenen (und mit Grüffelo geschmückten) Brief. Drei Monate zuvor war ich als neuer Professor für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität Hamburg von Großbritannien nach Deutschland gezogen. Scheffler hatte einen Artikel über den Umzug gelesen, den ich in der englischen Zeitung Guardian veröffentlicht hatte und wünschte unserer Familie viel Glück auf dem Kontinent. Wir erkannten schnell, dass wir viel gemeinsam hatten, weil wir beide lange Zeit im Vereinigten Königreich gelebt, in Hamburg aufgewachsen und Geschichte studiert hatten.
Die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche haben uns alle drei tief bewegt. Wir hatten das Gefühl, dass es an verschiedenen Punkten der Krise an Engagement und öffentlicher Diskussion über Kinder und ihre individuellen Erfahrungen mangelte.
Die unmittelbaren Gesundheitsrisiken für Kinder wurden im Vergleich zu anderen Altersgruppen
als deutlich geringer eingeschätzt – aber wie steht es mit ihrer allgemeinen Gesundheit und
ihrem seelischem Wohlbefinden? Wie kamen sie zu Hause und in den Schulen zurecht,
von denen sich viele als unvorbereitet (und unzureichend ausgerüstet) herausstellten,
um zum Online-Unterricht überzugehen? Wie steht es mit dem Gefühl von Stabilität
und Routine bei Kindern, das in Familien landauf landab unterschiedlich stark herausgefordert
wurde? War das nicht der Rede wert?
Wir fragten uns, ob das Erzählen des Themas mit künstlerischen Mitteln die Möglichkeit bietet,
Kinder und Erwachsene mit solchen Fragen zu beschäftigen. Innerhalb weniger Tage tauschten
wir uns regelmäßig per E-Mail über die Möglichkeit aus, eine Ausstellung mit einigen von
Axel Schefflers Zeichnungen zu diesem Thema zu inszenieren, die er für ein Buch mit dem
Titel «Coronavirus» von Elizabeth Jenner, Kate Wilson und Nia Roberts geschaffen hatte.
Das Buch war rasch entstanden und wurde in verschiedenen Formaten kostenlos zur Verfügung gestellt.
Darüber hinaus hatte Axel Scheffler Zeichnungen über die kreativen Bewältigungsmechanismen von Menschen,
Jung und Alt, während der Pandemie angefertigt. Er erklärte sich bereit, uns das gesamte Material –
ebenfalls kostenlos – zur Verfügung zu stellen, damit wir eine Ausstellung in Deutschland durchführen können.
Aber wo könnten wir ausstellen? Wer wäre bereit, so kurzfristig eine Ausstellung zu inszenieren?
Wir drei hatten das Gefühl, dass wir nicht den Luxus der jahrelangen Vorbereitung für dieses Projekt hatten.
Es sollte eher früher als später geschehen, in einem einladenden Ausstellungsraum, in dem die Kinder
das Thema in ihrem eigenen Tempo angehen konnten. Alternativ sollten sie auch online darauf zugreifen können,
wo sie zusätzliche (wissenschaftliche) Informationen zu Fragen finden, die sie betreffen.
Zum Beispiel: Was ist eine Pandemie? Was ist ein Virus? Gibt es neben dem Coronavirus noch andere Viren?
Warum müssen wir Abstand voneinander halten, uns ständig die Hände waschen und Masken tragen?
All diese Fragen waren (und sind) in der aktuellen Pandemie von hoher Relevanz, nicht nur für Kinder.
Die Beantwortung dieser Fragen erfordert die gemeinsame Anstrengung von Experten unterschiedlichster
Disziplinen in der Medizin, dem öffentlichen Gesundheitswesen, den Kulturwissenschaften und der Medizingeschichte.
Wie so oft im Leben brauchten wir ein bisschen Glück. Wir haben uns entschieden, Professor Philipp Osten, den Direktor des Medizinhistorischen Museums am UKE, anzurufen, um zu erfahren, ob er Interesse und Unterstützung für ein solches Projekt haben würde. Wir wussten, dass Ausstellungen oft Jahre im Voraus geplant waren und Ressourcen, Personal und Organisation erforderten. Wäre es möglich, uns reinzuquetschen? Die Antwort, die wir erhielten, hätte nicht besser sein können! Wie sich herausstellte, waren Osten und sein Team mitten in der Vorbereitung einer großen Ausstellung zum Thema «Pandemie: Rückblicke in die Gegenwart» und waren begeistert, Axel Schefflers Zeichnungen in die Ausstellung in einem eigens dafür gestalteten Kinderzimmer einzubauen.
Damit war die Frage nach der physischen Ausstellung gelöst. Aber wie stand es um das digitale Format?
Eines unserer Ziele war es, die Zeichnungen mit moderner Technik für Kinder zugänglich zu machen.
Niemand wusste, wie lange die Pandemie andauern würde; wir wissen es auch immer noch nicht.
Wann wäre es wieder möglich, ins Museum nach Hamburg zu reisen? Kinder und ihre Eltern, so dachten wir,
sollten überall Zugang zu Schefflers Bildern und Zeichnungen haben und an der Erzählung
«wie Corona zu Besuch kam» teilhaben können. Darüber hinaus mussten Kinder in ihrer Neugierde ernst
genommen werden, mehr über die Pandemie und ihre historische Vorgeschichte zu erfahren.
Dazu brauchten wir das Know-how von Menschen, die sich mit kreativen Formen der digitalen Kommunikation
mit unterschiedlichen Zielgruppen aller Altersgruppen beschäftigen. Mit Mario Kunze und seinem Team von
ZumKuckuck haben wir jene Experten gefunden, die zuvor ein innovatives «Digitorial» für das
Städel Museum, Frankfurt am Main entwickelt hatten.
In monatlichen Meetings, alle online, entwickelten wir die konzeptionellen Rahmenbedingungen und Inhalte
für das «Kidditorial», wie wir es nannten. Einige der Herausforderungen waren enorm:
Die Erzählstruktur sollte einfach nachvollziehbar und übersichtlich sein, der Inhalt sollte unserer
Meinung nach eine insgesamt optimistische Botschaft vermitteln, indem der Schwerpunkt auf
«Miteinander – Füreinander» gelegt wird, Kinder sollten sich ohne fremde Hilfe im digitalen Raum bewegen
können und eine zusätzliche Informationsebene sollte Antworten auf mögliche Fragen geben.
Außerdem wollten wir Museen, Mediatoren und Bildungsanbietern Informationen darüber vermitteln,
wie das «Kidditorial» auf diese Welt gekommen ist. Ob durch die Dokumentation unserer eigenen
Online-Meetings, durch Fotos und Zeichnungen oder durch ein Interview mit Axel Scheffler – alle
sollten unsere Reise mit uns teilen – eine Reise, die eines Tages mit einem Brief begann,
der unerwartet in der Post eintraf!
Wir hoffen, dass Sie diese Online-Ausstellung nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam finden.
Die Erfahrung mit dem Coronavirus hat tiefgreifende Auswirkungen auf alle Gesellschaften rund um
den Globus und wir hoffen, dass wir durch den Austausch unserer Erfahrungen die wahre Bedeutung
von «Miteinander, füreinander, schützen wir einander!»
Axel Scheffler ist ein preisgekrönter, international anerkannter Illustrator, der einige der beliebtesten Kinderbücher illustriert hat. Seine Bücher wurden in vielen Sprachen veröffentlicht und seine Arbeit auf der ganzen Welt ausgestellt. Er ist in Hamburg geboren und hat dort auch seine Kindheit verbracht. Schon als kleiner Junge hat ihm das Zeichnen sehr viel Spaß gemacht, und als er mit der Schule fertig war, wusste er, dass er etwas mit Kunst machen wollte. Er hat in Großbritannien studiert und ist gleich dortgeblieben. Nun arbeitet er als Illustrator.
Axel Scheffler erzählt im Interview über die Entstehung des Corona Buches.
Medizinhistorisches Museum Hamburg
Pandemie. Rückblicke in die Gegenwart
September 2021 - September 2022